Vorwort:
Diesen Tourenbericht einer «alten» Tour (2014) stellen wir erst heute (10.04.2020) auf unsere Seite, mit fünfeinhalb Jahren Verspätung also. Grund: zurzeit sind alpine Touren nicht möglich wegen des Corona-Stillstands. Also schwelgen wir in Erinnerung und nutzen die freie Zeit in der teilweisen Isolation – auf dass es uns und euch BesucherInnen nicht langweilig werde…
So wie wir uns das vorgestellt hatten, war es nicht! Dreimal raten bitte: richtig, das Wetter! Lohnend war unser erster Nationalparkbesuch aber dennoch. Geplant war, am Freitagnachmittag gemütlich zur Parkhütte Varusch zu laufen, dort zu übernachten, um dann am Samstag früh durch die Val Trupchun über die Fuorcla Trupchun nach Livigno hinunter zu wandern. Aufgrund der Wetterprognosen änderten wir das Programm: frühmorgens Fahrt über den Flüelapass nach S-chanf, Abmarsch ab Nationalpark-Parkplatz ausserhalb des Dorfes, auf dem Vorbeiweg bei der Parkhütte Varusch etwas Gewicht deponieren, dann weiter bis zur Alp Purcher, statt durch die Val Trupchun Abbiegung nach links, durch die Val Müschauns zur Fuorcla Val Sassa, Abstieg auf gleicher Strecke, Übernachtung in der Parkhütte, am Samstag (Schlechtwettertag) dann die kurze Strecke (weniger als 1 Std.) zurück zum Parkplatz, Rückfahrt nach Hause. Gesagt – getan! Den Nationalpark im Oktober zu bewandern, heisst: Lärchen in Gold und Hirschbrunft. In der Val Trupchun versammeln sich zur Brunftzeit alljährlich um die 400 Hirsche, um die Hirschkühe zu treffen, um sich mit ihnen zu paaren.
Hirsche haben wir nur wenige gesehen (von weitem), aber gehört haben wir sie – die wuchtig röhrenden Schreie begleiteten uns weit hinauf in der Val Müschauns. Aber der Reihe nach: ab Prasüras wählten wir den über dem tosenden Bergbach Ova da Trupchun verlaufenden Wanderweg. Welche Farben – auch bei nicht ganz idealem Wetter eine Pracht! Etwa 400 m hinter der Parkhütte befindet sich der Eingang zum Nationalpark. Bis zur Alp Purcher ist der Weg so angelegt, dass er für alle Kategorien von Wanderern problemlos zu machen ist. Etwa 200 m hinter der Alp Purcher, genau bei P. 1877 über eine Brücke führend, verliessen wir die Wanderautobahn. Die mit Feldstechern und Kameras friedlich bewaffneten Massen zogen weiter in die Val Trupchun, wo die grossen Wildbestände anzutreffen sind. Urplötzlich waren wir allein unterwegs; vielleicht auch der Weissblauweiss-Markierung wegen. Wie sich zeigen sollte, begegneten wir einem einzigen Menschen (einem jungen Parkaufseher). Entlang der Ova da Müschauns leicht ansteigend, überquerten wir den wilden Bach bei P. 2082, um fortan etwas steiler aufzusteigen. Noch immer auf gutem Pfad liessen wir die goldenen Lärchen hinter uns, um einen wunderschönen Legföhrenbestand zu durchqueren. Mit Ausnahme einiger zu überquerender Geröllströme boten sich uns keine Schwierigkeiten; das sollte sich ändern. Ab P. 2285 wurde es deutlich steiler und ruppiger, und erhöhte Vorsicht war nun definitiv geboten, vor allem wenn es galt Stellen zu finden, wo das Wild beobachtet werden konnte. Eine geröllig-grasige Sektion von Serpentinen führte zu einer sehr abschüssigen Geröllhalde (Ausrutschen verboten!); von weitem war die nun folgende felsige Steilstufe zu erkennen. Zusätzlich zu Schwindelfreiheit und Trittsicherheit war an dieser mit Seilen gesicherten Partie nun auch der Einsatz der Hände erforderlich (Stöcke also auf den Rucksack gebunden). Wir trafen trockene Verhältnisse an, die ca. 30 Aufstiegsmeter waren ein spannendes Vergnügen (die Kletterstelle schätzen wir I oder II). Von oben liess sich die eindrückliche Stufe gut überblicken. Diese Stelle rechtfertigt Weissblauweiss resp. T4. Ohne das Ziel zu sehen, hatten wir nun über einen halben Kilometer teilweise weglose Strecke mit Holzpfosten aber gut markierte 200 Aufstiegsmeter zu bewältigen. Erst bei P. 2601, vor der Überquerung des Bachs war das Ziel zu erkennen – ein auf einem Felsaufbau stehender weissblau markierter Pfosten – dahinter versteckte sich die Fuorcla Val Sassa. Nachdem wir die spärlich Wasser führende Ova da Müschauns überquert hatten, stand nochmals ein letzter Aufstieg über 250 Höhenmeter bevor. Dieser verläuft vor allem auf den letzten 300 Streckenmetern schräg querend über einen sehr abschüssigen Geröllhang – zum Glück trafen wir trockene und schneefreie Verhältnisse an. Keuchend (Renaiolomann!) erreichten wir den Übergang, welche sich wie ein Gipfel präsentierte. Nun weitete sich auch der Blick in die Val Sassa (Tal der Steine) und seine Blockgletscher; im Aufstieg von der Chamanna Cluozza war nur gerade ein einziger Berggänger zu erkennen – der schon erwähnte Parkranger. Er bewältigte den Aufstieg ab Zernez in 3.5 Std. (Respekt!). Trotz etwas getrübter Weitsicht genossen wir das eindrückliche Panorama – die Rast verlegten wir wegen des zügigen Windes auf das unter uns liegende Bödeli; in dessen Nähe waren ein grosses Rudel äsender Gemsen und einige Steinböcke zu beobachten. Die (mit einem Halsband) markierten Steinböcke stammen aus der Val Trupchun und werden vor dem ersten Schneefall dorthin zurück wechseln. Die rutschige Geröllhalde war im Abstieg schwieriger zu meistern – ein Ausrutscher hätte verheerende Folgen – der Hang hat eine Neigung von >30°. Nahe P. 2601 stärkten wir uns an einem windstillen Plätzchen mit mitgebrachten Leckereien. Dann bald Aufbruch, denn es galt noch die bereits beschriebene Felsstufe abzuklettern und den anschliessenden steilen Geröllhang zu queren; mit der nötigen Vorsicht ging alles gut. Nun wieder auf etwas sichererem Grund bot sich uns auch wieder Gelegenheiten, Wild zu beobachten – nur den Bartgeier, der in dieser Gegend anzutreffen ist, bekamen wir leider nicht zu Gesicht. Letzteres galt auch für den neuerdings in der Nähe aktiven Bären M25; den Pfefferspray hatte Doris aber trotzdem dabei… Nach zügigem Abstieg überquerten wir am Ende der Val Müschauns die Brücke bei P. 1878 – und trafen wieder auf den viel begangenen Parkweg, welcher von der Alp Trupchun herunterführt. Nach einer halben Stunde Ankunft bei der Parkhütte Varusch, wo wir uns für einen gemütlichen Abend und eine erholsame Nacht einrichteten. Eine Übernachtung in der einfachen Hütte ist sehr zu empfehlen!
Variante:
Den Abstieg ab Fuorcla Val Sassa hinunter zur Chamanna Cluozza (ab Passhöhe ca. 2.25 Std.) wäre zwar denkbar, in unserem Fall aber nicht möglich, weil die Chamanna voll belegt war (ab 11. Oktober 2014 geschlossen, Winterruhe), und die Strecke hinunter bis nach Zernez eine sehr lange Tagestour ergäbe.
Fazit:
Unsere Herbstwanderung im Nationalpark bot alles, was in dieser schönen Zeit zu erwarten war – ein unvergessliches Erlebnis! Und: die Entscheidung, die Tour auf Freitag vorzuverlegen, sollte sich als richtig erweisen – am Samstag früh regnete es bereits und entsprechend verhangen war die Umgebung.
Wetterverhältnisse: Wechselhafte, aber trockene Witterung, im Tagesverlauf teilweise Auflockerung der Bewölkung und zwischendurch sonnig, Temperaturen im Bereich 14°
Ausrüstung: Wanderschuhe, Stöcke
Parameter:
Tourdatum: 10./11. Oktober 2014
Schwierigkeit: T4 (Val Müschauns), übrige Strecke T2
Strecke: 19.3 km, Prasüras (S-chanf, Nationalpark Parkplatz, 1690 m) – Parkhütte Varusch (1770 m) – Alp Purcher (1858 m) – P. 1877 – Val Müschauns – P. 2082 – P. 2601 – Fuorcla Val Sassa (2857 m) – Rückweg auf gleicher Strecke
Aufstieg: ca. 1320 km
Abstieg: ca. -1320 m
Benötigte Zeit inkl. Pausen: 6 Std. 20 Min.
Benötigte Zeit ohne Pausen: 8 Std. 15 Min.
Ein Gedanke zu „Fuorcla Val Sassa (2856 m) – ein langer, alpiner Weg im Nationalpark“
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tolle Landschaft – und ebensolche Farben!