Unser Ziel heute: der Pass da la Prasgnola, ein im Kanton Graubünden gelegener Gebirgsübergang zwischen der Val Madris und der Val Bregaglia. Seine Passhöhe liegt auf einer Höhe von 2724 m.ü.M. zwischen den Gipfeln Pizz Gallagiun (3107 m, T4) und Pizzun (2965 m, T5). Seit dem Jahre 1412 gehören die Alpen in der Val Madris zu Soglio im Bergell. Früher wurden Kühe und Rinder jedes Jahr über den Pass zur Sömmerung auf die Alpen geführt. Dazu musste auf der Nordseite des Passes eine imposante Steintreppe I Trapet mit mehr als 300 Stufen gebaut werden. Diese historische Weganlage wurde 1991 von Freiwilligen des Internationalen Zivildienstes wiederhergestellt (Quelle: SAC). In diesem Sommer wird die spektakuläre Treppenanlage erneut saniert.
Vom Einheimischen Bruno Loi aus Cröt nutzten wir das Taxi-Angebot (079 406 72 77), die ersten 10 km (375 Hm) der einsamen Val Madris bis zur Alp Preda im Pick-up zurückzulegen. Das war eine gute Empfehlung von Julia Patzen von der Alp Madris. Die Strasse ist mit einem Fahrverbot belegt; denkbar wäre, mit dem Bike zu fahren und ab Alp Sovräna zu wandern – wegen der arbeitenden Herdenschutzhunde bedingt zu empfehlen. Noch etwas zu diesem sehr einsamen Tal: nach einem dreizehnjährigen Kampf gegen ein Stauseeprojekt hat der BR dieses Seitental zum Avers 1988 unter Schutz gestellt. Kurz nach der Alp Preda, bei der Brücke über die Agua da Madris, starteten wir unseren Fussmarsch. Bald erreichten wir die Gebäude der Alp Sovräna; unmittelbar hinter der Alp beginnt der Anstieg. Bis zum Brücklein bei P.2131 war das Gelände etwas sumpfig (von den Gewittern der letzten Nacht). Beim Brücklein teilt sich der Weg, links in Richtung O in die Val da Roda, rechts südlich in die Val da la Prasgnola, den wir zu nehmen hatten. Das Brücklein ist keine Herausforderung, ausser man mag nicht in tiefe Abgründe der Agua da Madris schauen… Nach wenigen Aufstiegsmetern zeigte sich schon der Pizz Gallagiun, dem wir uns heute näherten. Nach etwa 2.7 Kilometern erreichten wir eine Steilstufe und danach die abflachende Plan di Mort. Dort steht bei 2450 m.ü.M. auch das Camp der Arbeiter, welche I Trapet sanieren. Gespannt versuchten wir, die Treppe ausfindig zu machen – und tatsächlich erreichten wir diese bei 2460 m.ü.M. Waren die ersten Tritte bereits in bestem Zustand und problemlos zu begehen, war die hochalpine und sehr eindrückliche Baustelle zu passieren. Fünf Arbeiter gaben uns Hinweise, wie der Aufstieg (neben der Treppe) am besten zu bewältigen sei – ein provisorisch montiertes Fixseil bot zusätzliche Sicherheit. Bei P.2598 endete die Treppe (ca. 300 Stufen), und nach der Passage einer engen Stelle, wo der Einsatz der Hände gefordert war, markiert ein grosser Steinmann den richtigen Weg. Die Passmarkierung weiter oben war gut zu erkennen. Nach der Überquerung einer wie von Menschenhand gemachten Ebene standen hundert Meter Blockkraxeln bevor – zwar durchgehend markiert, nicht ausgesetzt, aber dennoch war sicherer Halt gefragt. Dieser letzte Abschnitt hatte es also in sich, und wir waren erleichtert, nach zwanzig Minuten auf dem Übergang zu stehen. Vom auf der Nordseite des Passes liegenden Seelein war nichts mehr zu sehen – trockengelegt! Weidende Schafe bevölkerten die Szenerie – zum Glück keine Herdenschutzhunde in der Nähe! Der Blick über das Bergell hinweg zu den markanten Gipfeln (Pizzo Badile, Pizzo Cengalo) war beeindruckend. Nach Soglio hinunter wären es (angeblich) 2 Std. 15 Min. eine sehr sportliche Vorgabe für fast 1700 Hm Abstieg über 6.6 km Distanz. Nicht nur, aber auch die grauen Wolken, hielten uns davon ab, den Nachbar Pizz Gallagiun (3107 m, T4+, weglos) zu besteigen – anderthalb Stunden Auf- und Abstieg wären dazu wohl nötig. Auch so waren wir zufrieden mit dem Erreichten. Für den Abstieg (laut Vorgabe bis Preda 1 ¾ Std. – wer’s glaubt…) auf der Aufstiegstrecke liessen wir uns reichlich Zeit – Treff in Preda erst um 16:30 Uhr. An der Baustelle noch das Gespräch mit den Bauarbeitern, welchen wir gerne ein Trinkgeld spendeten (das Camp habe eine Bar, versicherte man uns😂). Schon eindrücklich, wie sich die Perspektiven im Auf- und Abstieg komplett änderten. Unterhalb der Treppe dann wieder die fast ebene Plan di Mort, begleitet von der Agua da Madris, die ab und zu sogar wasserfallartig abstürzt. Nach der Steilstufe die Querung zur Brücke über den tosenden Bergbach – von der Südflanke des mächtigen Wissberg (2979 m) kamen die Rufe der Schafhirten, welche bestimmt über hundert Tiere trieben. Der weitere Abstieg zur Alp Sovräna war dann reine Formsache – jetzt nur ja nicht in ein Sumpfloch stolpern… An der Alp vorbei, wurden wir von zwei Eseln verabschiedet, dann gemütlich über die Brücke – bis zur Alp Preda, welche nach anderthalb Kilometern erreicht war. Gesund zurück von einer sehr einsamen Bergwanderung in der Abgeschiedenheit der Val Madris. Und der Pick-up von Bruno Loi, der uns zurück nach Cröt brachte, kam auch gerade angefahren…
Fazit:
Weiss-rot-weiss markierte alpine Bergwanderung, sehr einsam (wir haben keine anderen Wanderer angetroffen).
Wetterverhältnisse:
Nach den Gewittern von vergangener Nacht ein Hochsommertag mit «gewaschener», klarer Sicht, 8 bis 19° C, Wind ca. 4 km/h aus N
Ausrüstung:
Wanderausrüstung, Stöcke, Kartenmaterial Swisstopo, GPS
Parameter:
Tourdatum: 2. August 2022
Schwierigkeit: T3+
Strecke: 12 km, P.1973 (Brücke über die Agua da Madris) – Alp Sovräna (1995 m) – Brücklein bei P.2131 nach Verzweigung Val da Roda/Val da la Prasgnola – Plan di Mort – Steintreppen «I Trapet» (ca. 2460 m) – P.2598 – Pass da la Prasgnola (2724 m) – Abstieg auf gleicher Strecke
Aufstieg: ca. 800 m
Abstieg: ca. -800 m
Benötigte Zeit inkl. Pausen: 6 Std. 40 Min.
Benötigte Zeit ohne Pausen: 5 Std. 10 Min.
Tageszeit: 10:00 bis 16:40 Uhr
Von Julia Patzen vom Hof Madris hat uns folgende sehr interessante Mail erreicht:
Die Avner sagen – auf Deutsch – Madris oder Madrisch (ohne Val). Der Begriff Val Madris wird im Italienischen und Romanischen genutzt und erst seit der Staumauer-Diskussion auch auf Deutsch, jedoch nur von Auswärtigen.
Die eindrückliche Steintreppe „I Trapet“ ist im Trittverhältnis für Rinder gebaut. Die Rinder wurden im Frühling über den Prasignola gebracht und bei den Schneefeldern abgelegt und zu Tal «gerutscht». Im Herbst wurde die Steintreppe für den Alpabzug ins Bergell genutzt.
Herzliche Grüsse aus dem Madris Julia Patzen