Nachdem wir bereits vor zwei Wochen Wetterglück hatten, waren wir auch diesmal guter Hoffnung – und gelohnt hat es sich! Seit unserer ViaSpluga-Tour im Juni 2014 wollten wir mal von Pian San Giacomo den Passo del Balniscio überschreiten und nach Isola wandern. Nach dem Regen und dem Schneefall der letzten Tage hofften wir, auf ca. 2350 m.ü.M. nicht winterliche Verhältnisse anzutreffen. Wir lagen richtig, denn dank der Nordföhnlage war das Wetter im oberen Teil des Valle Mesolcina freundlicher. Nur der sehr starke Wind (Böen bis 90 Km/h) sollte uns beschäftigen. Am Abend zuvor nach Splügen angereist und dort übernachtet, reisten wir mit dem Postauto durch den Bernardinotunnel nach Pian San Giacomo – unserem Ausgangspunkt.
Erster Tag (Pian San Giacomo 1170 m – Ghifa 1234 m – P.1310 – Bosch de Brusei P. 1773 – Alp de Balnisc 2065 m – P.2179 – Grenze CH-Italia – Pozzzetto della Seraglia 2293 m – Passo del Balniscio 2353 m – Laghetto del Mot – Lago Grande 2303 m – Alpe Borghetto 1897 m – Valle Febbraro – Ca Raseri 1488 m – Isola 1268 m)
Nach dem Startkafi in Pian San Giacomo unterquerten wir die A13 um zum Dorfteil Ghifa aufzusteigen. Nach drei Kehren erreichten wir die A13 wieder, um an der grossen Kurve vorbei parallel zur Autostrasse (noch) auf asphaltierter Strasse zu laufen. Nach wenigen hundert Metern bei P.1310 wurden wir vom Wanderwegweiser (w-r-w Richtung Passo del Balniscio, 3.25 Std., bis Isola 5.50 Std.) in Richtung NO in den waldigen Aufstieg gewiesen. Nun folgte ein ca. 2 km langer, sehr steiler Aufstieg – wenigstens waren wir im Wald einigermassen windgeschützt. Bei
P. 1773 eine Lichtung im Bosch de Brusei, das Rauschen des Ri de Seda wurde immer deutlicher. Wir waren richtig gespannt, wie der tosende Bach zu überqueren war; aber da war ein guter Holzsteg – wegen der Nässe war etwas Vorsicht geboten. Viel Wasser! Nun galt es weiter nach N auszuholen, um dann unter den steilen Felsen (Ciancan de Balnisc) in Richtung O zu halten, noch immer steil, ab und zu eine dieser spärlichen Markierungen. Fast schon plötzlich standen wir auf der Alp de Balnisc (2065 m), wo wir den heute ersten Berggängern – zwei Jäger – begegneten. Irgendwo und irgendwann war dieser viel Wasser führende Bach zu überqueren – Markierungen (auf der anderen Seite) halfen nicht, eine ideale Stelle zu finden. Nach einigem Hin und Her fassten wir Mut und turnten über die im reissenden Bach liegenden Steine – nochmals gut gegangen, ohne nasse Füsse… Der «Weg» durch die folgende Steilstufe bis zum P.2179 war einigermassen gut markiert. Jetzt war an einigen Stellen etwas Klettern angesagt (I-II). Hier auch die Begegnung mit einer entgegenkommenden Wanderin («es ist nicht mehr weit»). Kurz vor Pozzetto della Seraglia (2293 m) erreichten wir den Grenzstein Nr. 15, was uns Sicherheit gab, auf dem richtigen Weg zu sein. Wir hatten schon das (täuschende) Gefühl, viel länger unterwegs zu sein, als die doch sehr sportlichen Zeitvorgaben zu Beginn markierten. Mittlerweile wurde die Wetterlage freundlicher, einige Sonnenstrahlen wärmten, aber der starke Nordwind blies uns oft fast weg. Die sumpfige, aber wunderschöne Ebene Pozzetto della Seraglia umliefen wir nördlich und etwas erhöht, ca. 900 m vor uns der Passo im Blickfeld. Zeit für eine ausgiebige Mittagsrast an einer windgeschützten Stelle. Eine Pause auf dem höchsten Punkt, dem bestimmt windexponierten Pass, wollten wir meiden. Der Weiterweg war noch immer weglos – ab und zu waren ein paar Trittspuren und Steinmännchen zu erkennen. Im Aufstieg zum Pass liessen wir uns von der logischen topografischen Linie leiten. Auf dem Passo del Balniscio (2353 m) dann eine ziemlich heruntergekommene Markierung mit schlecht lesbaren Hinweisen – kein Problem, wir kannten ja die Richtung. Links der Piz Bianch (3037 m) und der Piz di Ros (3018 m), zur rechten die Cima di Balniscio (2810 m) und die Cima de Barna (2861 m), die Gipfel überzuckert. Die Sonne liess uns den starken Wind fast schon vergessen. Vor uns der Blick nach Madesimo und zum Pizzo Groppera hinüber, dieser auch im winterlichen Kleid. Vor uns der kristallklare Laghetto del Mot und eine Geländestufe tiefer der Lago Grande (2303 m). Erst hier unten trafen wir heute auf etwas Leben, ein paar Fischer, zwei biwakierende Bergwanderer, weidende Kühe und Ziegen. Auf mehr schlecht als recht markiertem, teilweise sumpfigem Gelände erreichten wir nach etwa 2.7 km und 400 Abstiegsmetern die Alphütten von Borghetto – hier ziemlich viele Leute, die gerade ein Alpfest beendeten – die meisten mit ihren SUV’s hochgefahren. Nach der Alp dann Richtungswechsel (S) – vor uns der steile und ruppige Abstieg von ca. 330 Hm zum Bach hinunter, der das Val Febbraro durchfliesst. Der Weiterweg hinunter bis Isola dann schon fast erholsames Auslaufen – aber dann zum Abschluss doch noch die ca. 200 Hm Abstieg nach Isola hinunter. Um halb sechs eintreffend wurden wir vom schönen Glockengeläut der Kirche von Isola empfangen – zum Abschluss eines langen, achtstündigen Wandertags. In der Locanda Cardinello angekommen, empfing uns Martino sehr herzlich. Nach dem Check-in etwas Kühles, dann eine erholsame Dusche, und der anschliessende Treff mit anderen ViaSpluga-Wanderern beim von Gastgeber Martino offerierten Apéro im Keller der ehemaligen Säumerstation – wo viel Wissenswertes über die Säumerei zu erfahren war. Das folgende Abendessen war quasi der Höhepunkt des Tages, vor allem die sagenhaften Primi (Pizzoccheri alla valtellina und alla Chiavennese – die weltbesten!). Vom langen Tag (und Nachtessen…) etwas ermattet, genossen wir die erholsame Nachtruhe in einem der sorgfältig erneuerten Zimmer in diesem historischen Haus.
Zweiter Tag (Isola 1268 m – Mottaletta – Rasdeglia 1501 m – Alpe Soste 1544 m – Val Cardinello – Staumauer Lago di Monte Spluga –
P. 1905 – Montespluga 1905 m)
Traumwetter heute! Start um neun Uhr, vorbei an der Kirche verliessen wir das kleine Isola, in Richtung N. Erst auf geteerter Fahrstrasse, ab Mottaletta dann auf gutem Wanderweg. Nach kurzer Zeit war auch der schöne Weiler Rasdeglia erreicht, von wo es dann weiter über Weiden leicht ansteigend bis zur Alpe Soste (1544 m) ging. Jetzt befanden wir uns am Eingang des engen Val del Cardinello, welches nach Osten und später für knapp anderthalb Kilometer als berühmt-berüchtigte Cardinello-Schlucht über ca. 300 Steigungsmeter verläuft und bei der Staumauer des Lago di Monte Spluga endet. Über diesen ursprünglich bis zu 2.5 m breiten, nicht ungefährlichen Säumerpfad erfolgte um 1700 der Warenverkehr mit Pferdewagen, angeblich frequentiert von mehreren zehntausend Säumern pro Jahr. Historische Bedeutung erlangte der felsige Schluchtweg, als am 6. Dezember 1800 fünfzehntausend Soldaten der «Armée des Grisons» (Armee von Graubünden) des napoleonischen Marschalls Jacques MacDonald den Splügenpass über- und diese Cardinello-Schlucht durchquerten, um in Isola zu nächtigen. MacDonald wohnte angeblich in der damaligen Poststation, der heutigen Locanda Cardinello. Heute ist dieser instandgesetzte Schluchtweg Teil der ViaSpluga, und nicht wenige Bergwanderer bekommen auch heute noch weiche Knie (vor allem auch unter dem Eindruck der vielen abenteuerlichen Geschichten). Wer einigermassen trittsicher ist und nicht gerade unter Vertigo leidet, wird auf dem zugegebenermassen abenteuerlichen Schluchtweg kaum besonders gefährdet sein. Heute trafen wir wenige Wanderer, allesamt absteigend. Biker waren keine zu sehen, deren Spuren aber schon (wo sind sie geblieben?). Fast oben, unterhalb der Staumauer, dann etwas mehr Bewegung (Autofahrer, von der nahen Passstrasse auf einem kurzem «Wanderausflug» unterwegs. Und ein sympathisches Empfangskomitee: gwundrige Geissen! Wir wählten den Weg über die Talsperre, wo es einen aussichtsreichen Punkt gibt, um zu pausieren und den Volksauflauf zu beobachten. Nach der Rast umliefen wir vom südlichen Ende des Stausees den aufragenden Monte Cardine (2467 m), immer dem See entlang. Der Pfad verläuft gutmütig über blockigen Fels und immer auf gleicher Höhe, etwa 20 Hm über dem Wasser. Zum Schluss dann eine Kehre ins Val Loga hinein, um die Brücke über den Bergbach zu erreichen; dann vorbei an einigen Spaziergängern bis ins Zentrum des wie wohl immer sonntags lärmgeplagten Montespluga. In einem der Strassenbeizli genossen wir das verdiente Mittagessen – eine sehr angenehme Art, den Bus nach Splügen abzuwarten.
Fazit:
Innerhalb von vierzehn Tagen eine weitere zweitätige Grenztour
I-CH in einer am ersten Tag sehr abgelegenen und unbekannten Landschaft, am zweiten Tag auf der ViaSpluga die Cardinello-Schlucht hinauf – spektakulär!
Wetterverhältnisse:
Am ersten Tag anfänglich bedeckt, im Tagesverlauf zunehmend freundlich/sonnig, ca. 7 bis 12°, sehr starker Nordwind, am zweiten Tag sonnig, wolkenlos, ca. 15 bis 21°, im Lauf des Tages zunehmend bedeckt, ohne Niederschlag.
Hilfsmittel:
Feste Wanderschuhe, Stöcke; Kartenmaterial, GPS-Maschine
Parameter:
Tour-Datum: 12./13. August 2017
Schwierigkeit: T3 (am 1. Tag stellenweise Kletterei I, Cardinello-Schlucht am 2. Tag maximal T3)
Strecke: total 26.1 km, davon am 1. Tag 16 km ab Pian San Giacomo bis Isola, am 2. Tag 9.1 km Isola – Montespluga.
Aufstieg: insgesamt ca. 2037m
Abstieg: insgesamt ca. 1273 m
Laufzeit ohne Pausen:
total ca. 9 Std. (1. Tag: 5 Std. 45 Min, 2. Tag: 3 Std. 15 Min.)
Laufzeit mit Pausen:
total ca. 12 Std. 15 Min. (1. Tag: 8 Std., 2. Tag: 4 Std. 15 Min.)
Kamera:
Sony DSC-HX90V
eine wilde, schöne, Gegend habt ihr durchwandert – und tolle Fotos davon mit nach Hause gebracht; schöner Bericht!
lg Felix
Im Valle Mesolcina waren wir nicht zum letztenmal; wer einsame Wanderungen liebt, erlebt dort Wanderfreuden erster Güte. Danke Felix, und liebi Grüess, Ruedi
Ihr scheint eine einsame Grenzregion für Euch entdeckt zu haben 🙂
HG Michael
Dieses Grenzgebiet hat schon seine Reize – und ist tatsächlich wenig begangen – und das in dieser kleinräumigen Schweiz!