Nach der Aufwärmbikefahrt von gestern stand heute ein lange geplanter, harter Tourentag an: die Besteigung resp. die S/N-Überschreitung des Piz Vallatscha, einem Dreitausender, der nicht einfach zu haben ist. Weil ab einer Höhe von ca. 2500 m.ü.M. Geröllhalden dominieren und kaum Wegspuren und folglich auch keine Markierungen zu erwarten waren, begleitete uns Severin Hohenegger, den wir von unseren Wintertouren gut kennen. Als Einheimischer kennt er die Bergwelt im Val Müstair wie kaum ein anderer. Dank ihm als Jäger war auch ein Tag angesagt mit ausgiebiger Steinwild-Beobachtung.
Mit zwei Autos fuhren wir hoch in Richtung Pass dal Fuorn/Ofenpass; unterwegs stellten wir ein Fahrzeug ab bei der Talstation des kleinen Wintersportgebiets Minschuns. Gegen halbneun (nicht zu früh, wie sich zeigen sollte) marschierten wir los; gleich gegenüber des Hotels Susom Givè (bei der Trafostation), liefen wir auf einem Jägerweglein (nicht auf dem w-r-w markierten WW) leicht oberhalb der Passstrasse in Richtung NW, entlang der Lawinenverbauungen. Nach etwa 650 m verliessen wir den Wald und erreichten eine Lichtung, auf der Severin auf die Begegnung mit Wild hoffte. Alles ruhig, also stiegen wir auf zum P.2311, wo wir den Normalwanderweg erreichten. Hier erlebten wir eine erste Steinwildschau – auf den Zinnen des Munt da la Bescha beschnupperten sich Steinböcke und Steingeissen. Severin packte sein Fernrohr hervor, mit dessen Hilfe die Luftlinie von ca. 350 m problemlos überwunden werden konnte (siehe Bilder). Nach Querung einiger steil abfallender, aber gut zu begehender Runsen, erreichten wir beim Chaschlot (2393 m) den Eingang ins Valbella (der Name ist absolut zutreffend!). Was für eine Augenweide, links der Piz Nair (3009), dann der Einblick ins Val Nüglia (Tal des Nichts), welches seit Jahrzehnten nur von Wild begangen wird – Menschen haben dort nichts zu suchen (Nationalpark!). Jetzt liefen wir nördlich des Munt da la Bescha, welchen wir schon halbwegs umrundet hatten, leicht aufsteigend in Richtung O. Bald erschienen die markanten Felsen des SW-Grats unseres Gipfelziels – der Piz Vallatscha selbst war noch nicht zu sehen. Auf einer Höhe von 2500 m.ü.M. verliessen wir den w-r-w markierten WW, um den Bergbach zu überqueren. Leicht oberhalb eine erste Trinkpause – unter Fortsetzung von Severins Steinwildschau; die Tiere turnten zuoberst am Grat des Munt da la Bescha. Und ein weiteres Highlight: ein Bartgeier besuchte uns im Vorbeiflug. Auf nun steilerem, aber gut gestuftem Weidegelände stiegen wir auf in Richtung Bergstation des Skilifts, welcher im Winter Skitüreler von der Fuorcla Funtauna da S-charl auf eine Höhe von 2700 m.ü.M. hoch schleppt. Spätestens jetzt wurde uns klar: der Piz Vallatscha ist vor allem ein Skitourenberg, der im Sommer weniger bestiegen wird. Ab ca. 2650 m.ü.M. änderte die Unterlage, eine sehr steile Geröllhalde. Über eine kurze Strecke von 400 m waren 200 Hm aufzusteigen, was kräftezehrend war. Unterhalb des SW-Grats (P.2902) bot sich auf einem Podest die Gelegenheit für eine Verpflegungspause – und natürlich packte Severin Fernrohr und Stativ hervor. Auf dem Grat über uns turnten gerade einige Jungsteinböcke unter Anleitung älterer Tiere herum – unglaublich eindrücklich! Die haben uns dauernd beobachtet, was auf den Bildern gut zu sehen ist. Wir konnten nur schwer loslassen, aber uns erwartete noch der sehr steile und weiterhin geröllige Aufstieg zum S-Grat, den wir auf etwa 2970 m.ü.M. erreichten. Der Grat selbst ist wenig ausgesetzt, der Aus- und Weitblick zu den Nachbargipfel, zum Ortler und zu den anderen Südtiroler Gipfel einfach grandios. Jetzt war da noch der recht schmale Verbindungsgrat zum Gipfel, der noch 50 Hm aufragte. Den zwei Meter hohen Gipfelfelsen umgingen wir westlich, nunmehr genau auf der Nationalparkgrenze, welche mit gelben Markierungen angezeigt war. Auf der Kugellager-Unterlage jetzt nur nicht ausrutschen! Mit Severins Hilfe und unter Einsatz der Hände erkraxelten wir das «Hindernis». Oben angekommen, strahlten wir mit der Sonne um die Wette. Bütscha il piz! Die ausgesetzten Platzverhältnisse liessen eine Gipfelrast nicht zu, also stiegen wir einige Meter ab in Richtung NO; auf weniger steilem Gelände hielten wir dann die verdiente Gipfelrast ab.
Gut gestärkt machten wir uns auf zum Abstieg; erst über die sehr steile Geröllhalde runter entlang des N-Grats in Richtung P.2847, hielten wir dann in Richtung Schneefeld, welches unterhalb des Sattels (2890 m) lag. Was für eine Wohltat, auf dem Schnee abzurutschen! Auf etwa 2750 m.ü.M. – unterhalb des Piz d’Astras – liefen wir nun weniger steil und über schwache Wegspuren in Richtung S. Im Gebiet Vallatscha d’Astras führte uns Severin kundig durch eine einmalig schöne Moränen-Landschaft. Auf einer Höhe von ca. 2500 m.ü.M. erreichten wir Weideland, und das Laufen wurde etwas weniger strapaziös. Zeit für eine willkommene Pause, und selbstverständlich für einen Blick durchs Fernrohr. Gegenüber, am SO-Gratausläufer des Vallatscha, tummelten sich 30 bis 40 Tiere – herrlich! 320 m unter uns die Alp Astras und der God Tamangur. Severin führte uns auf dem gut zu begehenden Schafweglein hinunter zur Fuorcla Funtauna da S-charl. Auf dem Übergang die vorsichtige Begegnung mit einer friedlich weidenden Muttertierherde. Den Skigipfel Minschuns wie auch die tieferliegende Alp da Munt passierten wir westlich, um direkt (und zügig) zur Talstation hinunterzulaufen. Um 17 Uhr erreichten wir den Parkplatz, von wo wir zum Pass dal Fuorn/Ofenpass hochfuhren. Severin war in Eile, also verschoben wir den Abschlusstrunk. Lieber Severin, du hast uns ein unvergessliches Bergerlebnis mit grossartigem Rahmenprogramm geboten – herzliches Dankeschön!
Fazit:
Diese anspruchsvolle Gipfeltour mit Severin zu unternehmen, war goldrichtig. Mit seiner Erfahrung haben wir heute wohl unsere Leistungsgrenzen erreicht.
Wetterverhältnisse:
Herrliches Bergwanderwetter, Sonne mit etwas Bewölkung, ~4 bis 8°
Ausrüstung:
Profilwanderschuhe, Stöcke, Kartenmaterial Swisstopo, GPS
Parameter:
Tour-Datum: 17. August 2021
Schwierigkeiten: T4+, Hochtour WS, Kletterstellen I
Strecke: 12.73 km, Pass dal Fuorn/Ofenpass (2149 m) – unmarkierter Pfad (bei der Trafostation) gleich gegenüber des Hotels Susom Givè – Lawinenverbauungen – bei P.2311 WW in Richtung Chaschlot – Valbella – Querung Bach bei genau 2500 m.ü.M. – Aufstieg weglos bis unterhalb des SW-Grats – Querung Geröllhang, Aufstieg bis S-Grat bei etwa 2960 m.ü.M. – Piz Vallatscha 3020 m – Abstieg Nordhang bis unterhalb P.2890 – Vallatscha d’Astras P.2475 – Fuorcla Funtauna da S-charl (2392 m) – P.2364 – P.2233 (Alp da Munt) – Parkplatz Talstation Minschuns (ca. 2130 m)
Aufstieg: ca. 1000 m
Abstieg: ca. -981 m
Benötigte Zeit inkl. Pausen: 8 Std. 45 Min. (Wildbeobachtung kostet Zeit, gell Severin🦌🦌🦌)
Benötigte Zeit ohne Pausen: 5 Std.
Tageszeit: 08:20 bis 17:05 Uhr
super Tour, gut gemacht 🙂