Der Titel sagt es schon: eine «wilde» und anspruchsvolle, ziemlich anstrengende Bergtour – einer unserer Träume erfüllte sich heute – in Begleitung von Severin fühlten wir uns heute tatsächlich «mit dem Jäger auf der Pirsch». Start beim Parkplatz P8 Stabelchod an der Ofenpassstrasse. Nach fünfhundert Meter auf dem Weg parallel der Passstrasse in Richtung Il Fuorn bogen wir beim aufgelösten P7 ins Val dal Botsch ein; bis zum höchsten Punkt Fuorcla Val dal Botsch dürfen die markierten Wege und Pfade nicht verlassen werden. Die Morgensonne hielt sich noch zurück, was Severin nicht hinderte, sein Fernrohr aufzustellen und auf einen vermuteten Adlerhorst auszurichten; leider ohne Erfolg. Dafür sichteten wir erste Gämsen und prächtige Hirsche, welche sich an einer besonnten Halde tummelten (und uns bestimmt schon gesehen haben). Bis zur Verzweigung Margunet bei P.2169 dann keine weiteren Anblicke mehr. Die dort im Winter weggeputzte Brücke über den Bergbach gibt es nicht mehr, ein Brett hilft als Provisorium. Jetzt wurde der Aufstieg deutlich wilder und steiler. Dafür wurden wir reich entschädigt: Edelweiss, Enziane, viele andere Gräser und Pflanzen – und natürlich viele Tiere: Hirschkühe mit ihrem Nachwuchs im steilsten Gelände, ein Gamsrudel (über dreissig Tiere), und ausgewachsene Hirsche, prächtige Stiere! Ohne Severin wären wir im Aufstieg zur Fuorcla bestimmt an den Tieren vorbeigelaufen. Unterhalb der Fuorcla Val dal Botsch, an den felsigen Ausläufern des Piz Murters, dann die tolle Steinbock-Show – in nur etwa 250 m Distanz und ca. 80 Hm über uns. Keine Überraschung, dass wir für den Aufstieg bis zum Übergang viel Zeit benötigten. Noch ein Hinweis zum Bergweg: die Strecke bis zum Übergang ist 5 km lang und auf den etwa 800 Aufstiegsmeter ist es ausser der Steilheit nie besonders schwierig (T2). Das ändert sich nach der Fuorcla schlagartig. Doch erst gabs eine ausgiebige Marenda, sogar eine Sitzgelegenheit wird geboten. Ein Genuss sondergleichen diese Ausblicke, in Richtung S zu den Bernina-Alpen, im N ins Val Plavna und zum Punkt Sur il Foss. Und dazwischen diese unglaubliche Geröllhalde – 400 Hm über eine Strecke von 1.5 km – definitiv T3-Gelände. War der Einsatz der Wanderstöcke im Aufstieg hilfreich, gilt dies für den Abstieg besonders! Und Langsamkeit war ebenfalls ein Gebot – Schritt für Schritt war abzuwägen. Ausserdem galt es auf Steinschlag zu hören; Felsstürze sind hier Normalität. Wir hatten heute insofern Glück, weil der Abstieg schneefrei und trocken war. Auf halber Strecke dann ein Wunder der Natur: der Rätische Alpen-Mohn. Auf der Fuorcla Val dal Botsch wächst er inmitten von steilen Schuttfeldern auf 2650 m. Der Kalkschutt ist äusserst lebensfeindlich, nur wenige Pflanzen können Fuss fassen. Die lange und flexible Pfahlwurzel verankert die Pflanze im Schutt und versorgt sie mit Wasser und Nährstoffen. Der Rätische Alpen-Mohn ist eine typische Ostalpenpflanze, die nur östlich des Inns vorkommt. Ein Fotostopp an einem einigermassen sicheren Stand – siehe Bilder. Am tiefsten Punkt bei 2277 m angelangt eine Wildbachüberquerung und danach begann der Wiederaufstieg nach Sur il Foss (2 km, 50 Hm). An diesem Info-Punkt überschritten wir erneut die Nationalparkgrenze. Jetzt der Abstieg ins Val Mingèr, flankiert zur linken vom Piz Mingèr, zur rechten vom Mot Foraz. Im Schatten einer grossen Arve genossen wir eine Trinkpause und schwelgten bereits in Erinnerung der erlebten Tierbegegnungen. Doch es sollte noch nicht das Ende sein: beim Plaza da posar bei P.1980 lag doch am Wegrand ein grosser Haufen Wolfskot (siehe Bild); Wolfslosung enthält häufig Haare und Knochenstücke, teilweise auch Zähne und Hufe von Beutetieren. Der Kot ist in der Regel 2,5 bis 4 cm dick und über 20 cm lang. Er wird zur Reviermarkierung häufig auf Wegen abgesetzt. Wenige Meter später bestätigte uns ein Parkranger, dass der Fund bereits gemeldet worden sei. Dem Tier begegneten wir nicht, dafür aber ein paar besonders mächtigen Hirschen, durch das von Severin aufgebaute Fernrohr gut zu sehen; die Tiere sonnten sich unterhalb des Piz Mingèr auf etwa 2100 m.ü.M. Nun galt es etwas zügiger weiter zu laufen, meist über gute Pfade, oft aber auch (zeitraubend) über gewaltige Gerölllawinen. Schliesslich wollten wir den Bus um 15:51 Uhr erreichen. An der Clemgia im Val S-charl angekommen, hatten wir noch etwa fünf Minuten zu warten bis zur Ankunft des Postautos (Haltestelle Val Mingèr). Auf der eindrücklichen Talfahrt hinunter nach Scuol wird die Höhendifferenz von ca. 450 m zurückgelegt. In Scuol bestiegen wir dann die RhB nach Zernez, von dort die Postautofahrt über die Ofenpassstrasse bis P8 Stabelchod. Nach neuneinhalb Stunden auf den Füssen waren wir zwar schon etwas ermattet, vor allem aber glücklich darüber, einen solchen Bergwandertag erlebt zu haben.
Fazit:
Eine grossartige Bergwanderung durch eine «wilde» Naturlandschaft – eine der schönsten Bergwanderungen im Schweizerischen Nationalpark. Danke lieber Severin, diesen Tag bleibt in unserer Erinnerung!
Wetterverhältnisse:
Sommerwetter, sonnig mit leichter Bewölkung, im Tagesverlauf teilweise vorüberziehende Quellbewölkung, trocken, Temperatur ~9 bis 20°, wenig Wind ONO, Steilheit bis 40%
Hilfsmittel:
Bergwanderschuhe, Stöcke, Kartenmaterial Swisstopo, GPS
Parameter:
Tour-Datum: 28. Juli 2024
Schwierigkeit: T3
Strecke: 14.2 km, Ofenpassstrasse, Parkplatz P8 Stabelchod (1885 m) – Val dal Botsch – P.2169 (Verzweigung Margunet) – Fuorcla Val dal Botsch (2677 m) – Aua da Plavna (2276 m) – P.2336 – Sur il Foss (2316 m) – Plaza da posar – P.1980 – Funtanas (1925 m) – Laviner dal Piz Cotschen – Laviner Grond – P.1826 – Cheu da la Stria – Prada da Mingèr – Punt da Mingèr, Clemgia (1650 m), Postautohaltestelle
Aufstieg: ca. 913 m
Abstieg: ca. -1148 m
Benötigte Zeit inkl. Pausen: 9 Std. 20 Min.
Benötigte Zeit ohne Pausen: 5 Std. 25 Min.
Tageszeit: 06:30 bis 15:50 Uhr
wirklich eine sensationelle Tour!