Sighignola 1314 m – Balcone d’Italia am Weihnachtstag

Heute, am Weihnachtstag einen sonnigen Wandertag im südlichen Tessin zu erleben – keine Seltenheit um Weihnachten. Von mindestens jedem zweiten Berg der Alpen heisst es, er biete eine atemberaubende, grossartige, einmalige oder fabelhafte Aussicht. Oft eine abgedroschene Floskel, bestimmt nicht zutreffend im Fall der Sighignola. Schön hingewürfelt zeigen sich die Stadt Lugano und unzählige Dörfer, dann die näheren Hügel und Bergketten, und am Horizont (im Dunst) die Ebenen der Lombardei, der Monte Rosa und viele weitere Viertausender und natürlich unzählige Tessiner Bergspitzen. Doch was die Aussicht besonders macht, ist der Lago di Lugano, der unmittelbar zu unseren Füssen seine Fjorde in alle Richtungen ausbreitet und unseren Berg umarmt. Das ist… atemberaubend! Nord- und westseitig überragt er den Seespiegel um rund tausend Meter. Sein südliches Gesicht, jenes über dem Dörfchen Arogno, ist von vielen Felspfeilern charakterisiert. Und im Osten, gegen das italienische Valle d’Intelvi hin, bildet er eine eher sanft geneigte Waldflanke. Seit 1913 führt eine touristische Strasse von Lanzo d’Intelvi bis zum Gipfelplateau hinauf, wo sich aktuell ein (geschlossenes) Ausflugsrestaurant, ein Kiosk, eine Aussichtsterrasse und ein Kinderspielplatz befinden – eine ziemlich unansehnliche Baustelle. In den 1960er Jahren wurde eine Seilbahn von Campione zum Gipfel geplant und teilweise gebaut, aber nie fertiggestellt. Die Bergstation des Ecomostro (Ökomonster) wurde 2011/2012 teilweise rückgebaut., die Ruine bei Campione verunziert das Ufer noch immer.

Unseren Startpunkt in Arogno erreichten wir ab Melano über eine kurvenreichen Strasse über Rovio. In Arogno fanden wir einen grossen (neugebauten) Parkplatz. Durch steile Gässchen, welche mitten durch das historische Zentrum führten, erreichten wir in wenigen Minuten den am aufragenden Südfuss der Sighignola gelegenen Weg, über den wir zur Chiesa di S. Vitale gelangten. Erstmals wurde der Blick frei in Richtung San Salvatore und zu den Walliser Viertausendern mit dem dominierenden Monte Rosa-Massiv (Distanz 87 km). In leichtem Auf und Ab wurde der Wanderweg immer schmaler, querte unterhalb der mächtigen Felsen nach Norden. Manchmal waren abschüssige Halden zu begehen, welche unter dem vielen Laub etwas Vorsicht und Trittsicherheit verlangten. Mittlerweile im Schatten der Sighignola, erreichten uns ab und zu ein paar Sonnenstrahlen. Der Ausblick auf den Lago di Lugano, den Damm von Melide und durch die laublosen Bäume hindurch nach Lugano faszinierte. Den oberhalb P.752 stehenden Kletterfelsen (T4 I-II) liessen wir aus, weil das Gelände mit einem querliegenden Baumstamm abgesperrt war. Bald darauf erreichten wir die Lichtung der Alpe di Pugerna, den nördlichsten Punkt unserer Wanderung; noch 1.2 km resp. dreihundertfünfzig Höhenmeter bis zum Gipfel! Am Grenzstein Nr. 18 überschritten wir kurzzeitig die Landesgrenze, um dieser entlang ziemlich direkt den Gipfel anzustreben, die nahende Gipfelterrasse bereits im Blickfeld. Nach einer Marschzeit von ca. 2 Std. 20 Min. war der Gipfel erreicht. War der Aufstieg ohne Begegnungen, tummelten sich auf der unansehnlichen Plattform (Baustelle) einige Ausflügler, welche vom Valle d’Intelvi zum Gipfel gelangten. Wanderer oder Biker trafen wir heute nicht. Von der Aussichtsterrasse geniesst man ein prächtiges Panorama. Nach einem kurzen Besuch bei der wenige Meter höher und auf italienischem Boden stehenden Chiesetta Alpina (Gebirgsjägerkapelle) genossen wir die Aussicht an der Sonne und unser Picnic. Für den Abstieg wählten wir die Strecke über die Ostflanke, vorbei am Grenzstein Nr. 19. Bis zum Aussichtspunkt Creccio auf einer Höhe von etwa 1000 m.ü.M. war der WW ordentlich signalisiert; wegen des belaubten Untergrunds war Vorsicht geboten, was dank Stockeinsatz gut gelang. Bei der Abzweigung zur Alpe Bovisio sahen wir die letzte Markierung in Form eines Wegweisers. Kein Weg mehr zu erkennen, allfällige Markierungen fehlten oder waren unter dem Laub nicht zu sehen. Mehrmals orientierten wir uns dank GPS. Nach dem heute östlichsten Punkt landeten wir im Graben eines zum Glück trockenen Bachs; nun änderten wir laufend und erfolglos nach Wegspuren suchend die Richtung. Über uns felsige Wände, unter uns steil abfallendes, mit Laub bedecktes und deshalb rutschiges Gelände, nicht ganz trivial für einen auf Swisstopo eingezeichneten Bergweg. Doch damit nicht genug: Fallholz überall, vollständige Wildnis. An zwei Stellen mussten wir im steilen Gelände quer liegendes Holz umsteigen – in der Hoffnung, nicht abzurutschen. Nach etwa 250 Hm zeitraubendem Abstieg, kurz vor Gravina – endlich! – wieder eine Markierung. Erleichtert über unseren pfadfinderischen Spürsinn hatten wir nun die Zuversicht Arogno doch noch vor der Eindämmerung zu erreichen. Bei Costa dell’Oro erreichten wir die Strada del Mara, welche ins Valle d’Intelvi führt. Um 16:15 erreichten wir die mächtige Chiesa di Santo Stefano und wenige Meter das Centro storico von Arogno. Und zum Schluss das Beste: das Cafe de la Poste war noch offen, das Bier schmeckte vorzüglich.

Fazit:
Eine über weite Strecken grenzwertige, nicht gerade allgemeintaugliche Wanderung, die uns gefordert und trotzdem sehr gefallen hat – eine abenteuerliche Erfahrung!

Wetterverhältnisse:
Wie bereits gestern, ein erneut sonniger Weihnachtstag bei bester Fernsicht und bei ungewohnt herbstlicher Temperatur von 18°, wenig Wind (11 km/h aus NNW).

Hilfsmittel:
Bergwanderschuhe, Stöcke, Kartenmaterial SchweizMobil, GPS

Parameter:
Tour-Datum: 25. Dezember 2023
Schwierigkeit: T4-
Strecke: 7.9 km, Arogno (586 m) – Canavone – Chiesa di S. Vitale (684 m) – P.752 (Kletterfelsen) – Alpe di Pugerna (960 m) – Grenzstein Nr. 18 (1084 m) – Sighignola (1303 m) – Chiesetta Alpina (Gebirgsjägerkapelle) auf italienischem Boden (1314 m) – Grenzstein Nr. 19 (1270 m) – Creccio (1112 m) – Abzweigung Alpe Bovisio (ca. 950 m) – Gravina (700 m) – Costa dell’Oro – Crotto (610 m) – Calfarée (600 m) – Arogno
Aufstieg: ca. 805 m
Abstieg: ca. -817 m
Laufzeit ohne Pausen: total ca. 3 Std. 50 Min.
Laufzeit mit Pausen: total ca. 5 Std. 40 Min.
Tageszeit: 10:45 bis 16:25 Uhr

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