Sommer 2023, Val Müstair 4|5: von S-charl über das S-charljoch (2291 m) ins Val d’Avinga bis nach Taufers (I)

Heute Montag ging ein langgehegter Tourenwunsch in Erfüllung: die laaaaaaange Wanderung von S-charl über das S-charljoch durch das Avingatal nach Taufers i.M. Die ÖV-Anfahrt allein hatte es in sich: zweieinhalb Stunden dauerte die Reise (Postauto ab Fuldera bis Zernez, RhB bis Scuol, Postauto ins Val S-charl) – Spektakel in jeder Hinsicht! Für den Transport der (wanderwilligen?) Massen waren drei(!) Busse nötig. Die meisten wollten S-charl besuchen, dort wohl Kaffee und Kuchen geniessen, ein bisschen spazieren – die wenigsten hatten mehr vor… Nach dem Verlassen des Postautos folgte der Blitzstart durch das Dörfchen, vorbei an den noch leeren, aber wohl bald gefüllten «Tankstellen». Kaum war das Dorfende erreicht, waren wir beinahe allein unterwegs. Nach zweieinhalb Kilometern war Plan d’Immez erreicht, wo die Einsamkeit begann. Wir verliessen die Wanderautobahn entlang der Clemgia und bogen ab nach O, um nun steil aufzusteigen zur Alp Plazèr. Ein Älpler an der Arbeit, weit voraus ein wanderndes Paar. Der Aufstieg durch das Val Plazèr zum Grenzübergang (ca. 2 km, 200 Hm) war landschaftlich sehr reizvoll, zu Beginn über Weideland und vorbei an Muttertieren, später über steile, verblockte Geländestufen, die Passhöhe nahte spürbar. Zuoberst angelangt die Begegnung mit vier anderen Gleichgesinnten. Der Cruschetta-Pass, wie der Übergang auch genannt wird, hat eine wunderbare Geschichte – siehe Bilder. Und er ist Wasserscheide und Staatsgrenze, und ausserdem Grenze zwischen EU und nicht-EU. Ein schöner, eingezäunter Rastplatz, mit Tisch und Bänken aus massivem Holz versehen, lädt zum Verweilen ein. Unsere mitgebrachten Brote und der Tee schmeckten ausgezeichnet. Vor uns der kurze, aber steile Abstieg vorbei an der versteckt gelegenen Jöchl-Hütte zur Alp Praviert hinunter, wo sich auch kleiner Moorsee gebildet hat, aus dem der Valgarolabach abfliesst. Das Alpleben hier oben gleicht demjenigen ennet der Grenze. Sogar die Ohrmarken der Tiere und die Glockenmusik unterscheiden sich kaum. Links das Sesvenna-Massiv mit dem leuchtenden Gipfelkreuz, rechts Lorenziberg und Piz Starlex. Eine Traumlandschaft! Und wir ab durch die Mitte, auf der guten Alpstrasse gemächlich und kaum spürbar absteigend, vorbei an der Mitteralm, immer mit dem Blick zum dominierenden Ortler. Die auf Mitteralm lebenden Schweine suhlten sich wohlig im Dreck – und grüssten (ähh grunzten) uns zu. Bei der weiter unten liegenden Mangitsalm ruhten wir aussichtsreich auf einem der wenigen Banken, die an italienischen Wanderwegen zu finden sind. Wir blieben rechts des Valgarolabachs auf dem gut markierten WW, der wesentlich besser zu begehen war, als die links des Bachs verlaufende Alpstrasse. Endlich, nach bald 9 Kilometern (und tausend Hm) Abstieg die Erlösung: die Bar Alte Dreschmaschine stand mitten im Weg. Auf der schmucken Aussichtsterrasse liessen wir uns nieder und harrten der Dinge, die da kamen: ein Speckbrettl im Format einer Familienportion. Uns sollte es recht sein, denn Appetit hatten wir! Wir blieben bis zum bitteren Ende, gerade so lange, dass wir den zehnminütigen Marsch ins Dorfzentrum von Taufers schafften. Im Zentrum angekommen, bestiegen wir nach kurzer Wartezeit das von Mals her kommende Postauto, welches uns in einer halbstündigen Fahrt über die Landesgrenze (im Volksmund auch «Speckzollamt» genannt) über Müstair nach Fuldera kutschierte. Dort erwartete uns nach der erfrischenden Dusche der z’Nacht aus der Staila-Küche. Die Lasagne schmeckte vorzüglich! Und nach der obligatorischen Iva (Moschus-Schafgarbe) sanken wir zufrieden in die Heja und in den sofortigen Tiefschlaf.

Fazit:
Eine Wunder-Wanderung in einer sehr einsamen Gegend – zur Nachahmung jederzeit empfohlen…

Spannende Hinweise:
Das Val d’Avinga ist ein touristisch nicht erschlossenes und folglich sehr einsames Tälchen, welches sich über knapp elf Kilometer vom S-charljoch/Passo della Crocetta bis Taufers verläuft. Das Tal wird vom Valgarolabach entwässert, der unterhalb des Passo della Crocetta entspringt und nach einer Länge von 8.6 km nahe Taufers im Münstertal in den Rambach (Il Rom) mündet. In fast allen geografischen Karten wird das ca. 10 km lange, nordwestlich von Taufers im Münstertal gelegene Tälchen als Val d’Avigna bezeichnet. Von Einheimischen aus Taufers und aus dem Münstertal hörten wir, dass es richtigerweise Val d’Avinga heisse. Sogar auf öffentlichen Bezeichnungen (z. B. Wasserversorgung), auf Gebäuden (z. B. der Gasthof Avinga), aber auch auf einigen Wanderkarten ist die Bezeichnung zu finden. Die Gründe für die unterschiedliche Schreibweise haben wir nicht herausgefunden; möglicherweise sind es sprachlich-historische (italienisch, ladinisch/romanisch). In unserem Bericht halten wir uns an die Schreibweise der Einheimischen. Übrigens: Taufers im Münstertal ist das westlichste Dorf Südtirols, liegt auf 1.250 m ü. M., am Übergang zwischen dem Obervinschgau und dem Unterengadin, also am Grenzübergang zur rätoromanischen Schweiz, und zählt zusammen mit den Ortsteilen Rifair und Schlossoir rund 1000 Einwohner. Das historische Dorf erstreckt sich von der Calven Wiese, dem Schauplatz der berühmten Calvenschlacht, bis zur Schweizer Grenze. Das Dorfbild des romanischen Haufendorfes Taufers im Münstertal ist geprägt von den eng zusammengebauten Häusern, aber auch von seinen romanischen Kirchen, Kapellen und Hospizen wie St. Johann in Müstair, sowie von den zwei Burgruinen Rotund und Reichenberg. Der Charakter des Dorfes ist – trotz des Durchgangsverkehrs – bis heute geprägt von seiner Kulturgeschichte und der Nähe zum Benediktinerinnenkloster St. Johann in Müstair. So viel Zusatz-Information ist diesem unbekannten, aber wunderbaren Gebiet geschuldet.

Wetterverhältnisse:
Ideales Bergwanderwetter, Temperaturen im Bereich ca. 16 bis 20° C, trocken, wenig Wind (ca. 11 km/h ONO)

Ausrüstung:
Bergwanderschuhe, Stöcke, Kartenmaterial SchweizMobil, GPS

Parameter:
Tourdatum: 31. Juli 2023
Schwierigkeit: T2
Strecke: 16.3 km, S-charl (1808 m) – Plan d’Immez (1983 m) – Alp Plazèr (2085 m) – S-charljoch/Passo della Crocetta (2291 m) – Praviert (2128 m) – Mitteralm (2011 m) – Mangitsalm (1837 m) – P.1640 – P.1497 – P.1377 – Bar Alte Dreschmaschine (1298 m) – Taufers i.M. (1240 m)
Aufstieg: ca. 550 m
Abstieg: ca. -1120 m
Benötigte Zeit inkl. Pausen: 6 Std. 20 Min.
Benötigte Zeit ohne Pausen: 4 Std. 20 Min.
Tageszeit: 10:30 bis 16:50 Uhr

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